Der Coach im Lehrer

Coaching als System und als Rolle

Coaching ist ein Begriff, der eine eindeutige Hausse erlebt - er stammt aus dem Sport (der Coach ist nicht immer identisch mit dem Trainer, er ist mehr für die psychologische und mentale Unterstützung zuständig als z.B. für die Technik), er ist hoch angesehen in der Wirtschaft und immer mehr auch im Non-Profit-Bereich als Begleitung von Führungskräften, die ihrerseits ihre Mitarbeiter coachen, die sich wiederum auch selbst coachen sollen... Schauspieler haben Coaches für ihre Rollen oder ihre auditions, Bewerber/innen lassen sich für Vorstellungsgespräche coachen - "Coaching hat mit Generierung von Leistung zu tun, es bedeutet schnellen (gesellschaftlich anerkannten) Erfolg, [..] es nähert sich einer ,Lebensorganisationsberatung'".[1]

Wenn ein Begriff in Mode ist, wird er schnell schwammiger, als er - in diesem Fall - ohnehin schon war. Er muss daher vor allem dann genauer erklärt werden, wenn er im pädagogischen Bereich verwendet wird, wo die Verantwortung für die Jugendlichen besondere Transparenz dessen erfordert, was mit ihnen "gemacht" wird.

1. Coaching als System

Was verstehen WIR in der Sir-Karl-Popper-Schule unter UNSEREM Coaching?

In diesem Schulversuch werden jeweils 4 bis 5 Schüler bzw. Schülerinnen von einem "Coach" betreut, der zum Lehrkörper der Sir-Karl-Popper-Schule gehört (aber seine Coachees nicht immer auch selbst unterrichtet). Jede Gruppe hat eine Wochenstunde dafür zur Verfügung, die fest im Stundenplan verankert ist.

DER COACH

  1. informiert (die Coachees, das Lehrpersonenteam, die Eltern,...)
  2. unterstützt die Coachees = "coacht" im eigentlichen Sinn
  3. leitet die Gruppe, soweit sie das braucht.

1. und 3. sind zusätzliche Aufgaben in diesem Modell (zum Coaching an sich, wie es aus dem außerschulischen Bereich bekannt ist).

Der Coach informiert die Coachees über Termine, laufende Beschlüsse, änderungen etc., und vor allem über das Bild, das es von ihnen jeweils gibt (z.B. Leistungsstand, Echo bei den Lehrer/innen). Die Eltern der Coachees sollen vor allem im ersten Jahr auch über das Coachingsystem an sich informiert werden und dann über Leistungsstand, Entwicklung und Vereinbarungen, die ihr Kind betreffen (im Rahmen der normalen Schulpartnerschaft).

Und schließlich informiert der Coach das Lehrerteam über besondere Lern- und Lebensbedingungen für den Coachee, über wichtige Entwicklungsschritte, Vereinbarungen, gegebenenfalls über den Wunsch nach einem Gespräch. Darüber hinaus ist der Coach eine wichtige Drehscheibe in der Kommunikationsstruktur mit dem Leitungsteam der Schule (auch für die Weiterentwicklung des Konzeptes).

Der Coach unterstützt die Coachees bei der Organisation und Planung ihrer Arbeit und in ihrer persönlichen Weiterentwicklung. "Der wesentliche Teil des Coaching-Systems besteht ... darin, dass die einzelnen Mitglieder der Gruppe in ihrer wöchentlichen Coaching-Stunde mit Unterstützung (durch den Coach und - ganz wesentlich - durch die Mitschüler/innen) ihre Begabungen herausfinden, indem sie vor allem reflektieren lernen. Sie setzen sich mit ihren Leistungen auseinander, mit der Relevanz und Irrelevanz von Noten, mit ihren Vermeidungsmustern, mit ihren eigenen Motivations- und Arbeitsstrategien, sie sollen mit der Zeit ihre Ziele klarer definieren können und Handlungsweisen entwickeln, um diese zu erreichen."[2]

Diese Coaching-Haltung ist allerdings verwoben mit der in einer Schulsituation notwendigen pädagogischen Haltung, was dazu führt, dass der Coach fallweise auch pädagogische Maßnahmen als Reaktion auf sich abzeichnende Probleme setzen muss (was dem Coaching an sich widerspricht). Trotzdem bleibt die Verantwortung beim Coachee: Vom Coach wird z.B. nicht erwartet, dass die Kinder termingerecht ihre Aufgaben erledigen (was ja nicht in seiner Macht liegt), sondern dass er mit den Kindern daran arbeitet, wie sie besser lernen können, termingerecht ihre Aufgaben zu erledigen!

Der Coach leitet die Gruppe, soweit sie es braucht - auch im Sinne von "führt sie dahin, dass sie z.B. mit der Zeit eigenverantwortlich die zur Verfügung stehende Zeit verwaltet"...

Er leitet die notwendigen Prozesse (z.B. Regeln vereinbaren, Ziele definieren) im Stil des Coachings! Im Schulkontext mehr noch als in Erwachsenen-Gruppen hat der Coach auch eine besondere Bedeutung bei der Schaffung eines vertrauensvollen und respektvollen Gesprächsklimas. Er sorgt für Kommunikationsstrukturen, die nicht ständig in einem Fokus auf ihn selbst stecken bleiben, sondern die immer mehr ermöglichen, dass die Coachees auch einander zur Verfügung stehen.

Die Intention

In der Sir-Karl-Popper-Schule leisten die Jugendlichen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit in eigenständiger Organisation, und sie haben zudem oft eine Fülle von Begabungen und Interessen, die es ihnen schwer macht, Akzente zu setzen bzw. eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Viele von ihnen könnten in den verschiedensten Bereichen hohe Leistungen bringen, viele von ihnen wollen auch überall vertiefen - manche von ihnen schaffen das auch, aber einige neigen auch dazu, sich deutlich zu überfordern. Es entspricht nicht dem Geist dieser Schule, frühzeitig Spezialisierung anzustreben, es entspricht auch nicht dem Geist dieser Schule, Begabungsspitzen einer flachen Allgemeinbildung zu opfern, es entspricht auch nicht dem Geist dieser Schule, hochmotivierte Kinder in eine überforderung driften zu lassen - es entspricht vielmehr dem Geist dieser Schule, die ihr anvertrauten jungen Menschen so zu unterstützen, dass sie selbst für sich den für sie passenden Weg finden können.

Darin enthalten ist ein anderes wichtiges Anliegen: Die Anleitung zur Reflexion der getroffenen Entscheidungen, für die die Coachingstunden den Raum schaffen sollen. Je besser sich jemand selbst kennt, je genauer er Bescheid weiß um seine Anlagen, um seine Entwicklung, desto bewusster kann er sein Handeln selbst bestimmen. Dazu gehört auch das bewusste Ordnen des Lernangebotes, um für sich individuell zu gewichten, zu planen und nicht passiv überflutet zu werden. Auch Innehalten und Zurückschauen muss gelernt und geübt werden!

Die Lehrer und Lehrerinnen, die als Coaches eingesetzt sind, haben entsprechende Trainings durchlaufen und reflektieren auch ihrerseits - sowohl geleitet als auch informell - ihre Tätigkeit. Aber jeder Lehrer und jede Lehrerin ist immer auch Coach, auch ohne Coachinggruppe, auch im normalen Unterricht...

2. Coaching als Rolle

Die Aufgaben der Beratung, der Unterstützung im Finden des eigenen Weges, der Anleitung zum Reflektieren und zum Auffinden der eigenen Ressourcen gehören zu den Grundaufgaben der Pädagogik. Allerdings sind die Haltungen unterschiedlich, aus denen heraus wir als Lehrer/innen gewohnt sind zu agieren, und aus denen wir als Coaches agieren sollen.

Ich als Lehrerin habe oft digitale Reaktionen (richtig - falsch; gut - schlecht), ich muss Lösungen bewerten, verwerfen, korrigieren. Und: Ich als Lehrerin muss auf Fragen sehr oft Antworten wissen.

Ich als Coach unterscheide zwischen zielführend - nicht zielführend. Ich muss davon ausgehen, dass es so viele Universen wie Menschen gibt. Was für den einen stimmt, muss für den anderen nicht stimmen, ich muss Fragen stellen, die den Coachee zu seinen Antworten führen. Die Grundhaltung kommt aus der überzeugung, dass jeder Mensch ein viel zu komplexes Wesen ist, als dass ich wissen könnte, was gut für ihn ist.

Dieser Rollenkonflikt ist nicht einfach zu lösen, er ist nur "auszuhalten" - und transparent zu machen. Je klarer die Entscheidung fällt, in welcher Rolle ich für welche Situation am hilfreichsten sein kann, und je klarer ich definiere, aus welcher Haltung heraus ich gerade handle, desto weniger Verwirrung entsteht für beide Seiten, und desto größer wird das Vertrauen zwischen den beiden Gesprächspartnern sein.

3. Der Transfer

Coaching als System wird sich vielleicht nicht so problemlos in jede Regelschule übertragen lassen. Coaching als Haltung sollte immer Bestandteil jeder pädagogischen Arbeit sein, im Unterricht, in Einzelgesprächen, vor allem in der Arbeit des Klassenvorstandes oder des Bildungsberaters. Es geht um den Respekt vor der Einzigartigkeit und der Komplexität der Menschen, mit denen wir zu tun haben, und um die überzeugung, dass auch meine Lösungen nur für die Menschen taugen, für die sie eben taugen. Wir können nur Angebote machen. Wir können nur ein Angebot sein.

Dr. Renate Wustinger, Assistenzdirektorin für den pädagogischen Bereich bis 2003

[1]Katja Rainer in: A. Heilinger, M. Peukert, R. Wustinger (Hrsg.), Der Arbeit nach! Supervision im Zugzwang? Schriftenreihe Supervision, Innsbruck 2000, S. 93 ff.

[2]Text aus der Broschüre der Sir-Karl-Popper-Schule 2000/2001.