Ganz normale Vifzacks
Sie tragen Flanellhemden, dicke Hornbrillen und wälzen Bücher über Quantenphysik. So stellen sich die meisten Menschen hochbegabte Kinder vor. Diese Klischees stimmen aber nur bedingt. Denn vielen klugen bzw. klügeren Köpfen steht ihre Begabung nicht so plakativ ins Gesicht geschrieben.
Wie so oft gilt auch hier, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Und die Regel ist: Hochbegabte Kinder unterscheiden sich im alltäglichen Leben kaum von normal begabten Kindern. "Ich schaue genauso fern oder spiele Computerspiele und sitze nicht ständig mit dem Chemiebuch rum", sagt die 16-jährige Marie–Christine Röhsner. Ein paar Verschiedenheiten sind jedoch trotz Normalität augenscheinlich. Der 16-Jährigen haben es Chemie und Physik ganz besonders angetan.
Auf ihrem Nachtkasterl liegen Bücher des Quantenphysikers Anton Zeilinger. Ihre Jahresarbeit schreibt sie über die Chaostheorie. "Wenn sie anfängt, über Quantenphysik zu schwärmen, versteht das wirklich nicht jeder", gibt ihre Mutter Maria Röhsner offen zu. "Ich verstehe oft nicht einmal die Fragen, die sie mir stellt." Und gefragt hat Marie–Christine, seit sie ein kleines Kind war. "Sind Sie schon einmal mit hochbegabten Kindern drei Stunden lang im Zug gefahren? Da gibt man irgendwann einfach auf", lacht die Frau Mama.
Hochbegabte sind wissbegierig. Und deshalb wird alles bis zum Letzten ausdiskutiert. "Das macht mir Spaß, weil ich wissen möchte, warum andere eine andere Meinung haben", hakt Marie–Christine ein. "Abgesehen davon unterhalten wir uns auch über ganz normale Dinge, wie die letzte Serie von ‘Dr. House‘ oder über Computerspiele oder sowas." Die 16-Jährige gibt aber offen zu: "Bei uns in der Klasse ist jeder ein bisschen seltsam, das ist halt für uns normal geworden."
Dem stimmt auch der Direktor des Karl Popper Gymnasiums (eine Schule für Hochbegabte in Wien), Günter Schmid, zu. "Ich selbst mag den Begriff ‘hochbegabt‘ nicht, weil er ausschließt und wertet. Ich spreche lieber von partiellen besonderen Begabungen."
Wenn er über seine Zöglinge spricht, gerät Schmid fast schon ins Schwärmen. "Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich an sie denke, ich bin einfach begeistert", sagt Schmid. "Die sind besser als ich selbst."
Manche Popper–Schüler sind "nur" in einigen Bereichen herausragend, andere wiederum stechen überall hervor. So wie die 17–jährige Min Fang. Sie ist gut in Sprachen, in Mathematik, in Informatik, in Webdesign und erntet auch sonst in allen Fächern ausschließlich Einser. "Ich interessiere mich auch ziemlich für alles, außer für Physik und Chemie", sagt Min Fang. "Auf meinem Nachtkasterl liegen aber keine Sachbücher, sondern Romane". In Latein war sie so versiert, dass sie im vergangenen Jahr nur drei statt vier Wochenstunden besuchte. Die Freistunde nutzte sie dazu, eine Homepage über griechische Mythologie zu erstellen.
Was sie später einmal beruflich machen will, weiß sie noch nicht. Sicher ist nur: "Ich will auf jeden Fall studieren, Sprachwissenschaften oder Informatik. Oder auch beides." Marie–Christines Pläne für die Zukunft sind schon etwas konkreter. "Quantenphysik studieren und dann in die Forschung gehen", sagt sie. Ein Traum wäre es auch, Anton Zeilinger einmal persönlich zu treffen. Es gibt halt doch Unterschiede. Aber wirklich anders sind die beiden Mädchen nicht. Zwar irrsinnig auf Zack, aber sicher keine Wunderwuzzis mit Flanellhemden und Hornbrillen.