Die Presse, 23.01.2002

Hochbegabten–Förderung nicht nur im "Biotop"

Sir–Karl–Popper–Schule.
Die Spezialschule, die sich Begabtenförderung zur Aufgabe gemacht hat, gibt ihre Erfahrungen an andere Schulen weiter.

von Hedwig Schuss 

WIEN. Als Labor, das unter begünstigten Bedingungen arbeitet und Ergebnisse für die Allgemeinheit erziehlt – so versteht sich die Sir–Kark–Popper–Schule in Wien–Wieden. Diese günstigen Voraussetzungen zur Förderung hochbegabter Schüler bestehen vor allem darin, daß sich die Klassen ausschließlich aus Hochbegabten zusammensetzen.

Was sich in diesem "Biotop" bewährt hat, sollen Lehrer jetzt an ihre Schulen mitnehmen, um bisher "unentdeckte" hochbegabte Schüler überhaupt zu erkennen und entsprechend zu fördern. Womit bereits einer der zentralen Punkte erwähnt ist. Wie erkennt ein Lehrer, daß ihm ein Kind gegenübersitzt, das in seinen Fähigkeiten den Durchschnitt hinter sich läßt? Denn nur rund zwei bis drei Prozent der Kinder sind hochbegabt.

Zum einen, erklärt Expertin Renate Wustinger, sind Schüler "verdächtig", die vor sich hindösen und deren Interesse nur kurz aufflackert, wenn etwas Neues erklärt wird. Sobald sie das Vorgetragene verstanden haben, kehren sie in den Unaufmerksamen Zustand zurück. Aber auch Kinder, die immer schlecht abschneiden, wenn ihnen die Gelegenheit fehlt zu erklären, warum ihre Lösung ebenfalls richtig ist, sind oft sehr begabt.

Begabte Schüler haben Fragen, die Lehrern sonst nicht gestellt werden. Dies deute darauf hin, daß Zusammenhänge erkannt wurden, die überdurchschnittliche Fähigkeiten erfordern.

Gute Noten kein Indiz

Umgekehrt warnt Wustinger, sei nicht jede Verhaltensauffälligkeit ein Indiz für Begabung. So wie auch gute Noten kein direkter Hinweis auf eine Begabung seien. Vielfach hätten die hochbegabten Kinder eben keine überdurchschnittlichen Noten.

Zwei konkrete Wege, auf die Bedürfnisse der Schüer einzugehen, sind das sogenannte Coaching und das Pflichtfach "KoSo", das für Kommunikation und Sozialkompetenz steht. Beim ersten Modell werden jeweils vier bis fünf Schüler von einem Coach betreut, der im Idealfall sonst nicht in der Klasse unterrichtet. Das Ziel: Die Schüler erhalten ihr Feed–back von den Lehrern, durch Anregungen und Vorschläge sollen sie in ihrer persönlichen Weiterentwicklung gefördert. Nach zwei bis drei Jahren gemeinsamen Coachings in der Gruppe helfen sich die Schüler gegenseitig weiter und bedürfen immer weniger der Unterstützung der Lehrer. In der achten Klasse genügt ein Coach auf Abruf.

Das Pflichtfach "KoSo" erfreut sich besonderer Beliebtheit bei den Schülern. Direktor Günter schmid zieht den Begriff Humankompetenz vor, da er nicht mit dem schlichten "sozial Sein" vermengt würde. In diesem Pflichtfach – mit zwei Wochenstunden für die 5. und 6. Klasse – werden Erfahrungen im Umgang miteinander reflektiert. So werden etwa Randgruppendynamik und andere soziale Phänomene behandelt. Voraussetzung dafür ist eine – im Idealfall zweieinhalbjährige Ausbildung – in Supervision, so die langjährige Supervisorin Wustinger.

Beliebtes Fach "KoSo"

Auch die Schüer legen Wert auf eine Ausbildung des betreffenden Lehrers. Den Reiz des Gegenstandes "KoSo" machen für die Schüler sowohl die Lehrinhalte als auch die Diskussion aus.