"Sei nicht zynisch (ausser einmal)!"
WIEN. Freitag, 16.30 Uhr: Ganz Wien bereitet sich aufs Wochenende vor. Ganz Wien? Nein, eine kleine Gruppe im vierten Bezirk leistet Widerstand: Rund ein Dutzend Siebtklässler der Sir–Karl–Popper–Schule trifft sich um diese Zeit noch zum Intensivkurs Literatur. Auf dem Programm: österreichische Literatur.
Mit normalem Schulunterricht hat das freilich wenig zu tun. Da gibt‘s keine Tafel und keinen Frontalvortrag, nein Schüler und Lehrer sitzen im Kreis und diskutieren. Hitzig. Etwa darüber, wieso sich österreichische Autoren in besonderem Maße mit österreich beschäftigen - mehr, so der Eindruck der Klasse, als deutsche Autoren mit Deutschland. Oder ob Franzobel ein typisch österreichischer Autor ist. Und wenn ja, was das typisch österreichische an ihm ist. Christian Holzmann, der Literaturprofessor, mischt sich nur hin und wieder ins Gespräch. "Martin Prinz" "Ein Paar" ist noch am ehesten international, oder?," fragt er in die Runde.
Auch Holzmann ist kein durchschnittlicher Mittelschullehrer. Er ist Lektor an der Uni Wien (Anglistik), besitzt "ungefähr 15.000" Bücher, schreibt Rezensionen und hat auf seiner Homepage (www.popperschule.at) ein paar Lebensweisheiten parat. Etwa: "If you can educate, fine. If you can‘t, teach. If you can‘t teach, entertain. If you can‘t entertain, get the hell out of the business." Holzmann fährt mit seinen Schülern zur Frankfurter Buchmesse, animiert sie, Autoren einzuladen (demnächst ist Erich Hackl zu Gast), organisiert Filmvorführungen mit anschließender Diskussion und hat auch regelmäßige Besuche in der "Alten Schmiede" initiiert.
Lisa Stürgkh, Schülerin, berichtet: "Zirka viermal im Jahr gehen wir in die Alte Schmiede zu Schüler–Lesungen. Da können wir Autoren vorschlagen, die wir gerne hören wollen. Das nächste Mal ist Anna Mitgutsch dran. Wir lesen das Buch vorher und bereiten dann Fragen vor, die wir der Autorin stellen."
Tipps vom Schriftsteller
Beim letzten Projekt, "Herbstlese", stand Martin Kubaczek von der Alten Schmiede den Schülern zur Seite. "Wir haben alle ein Email von Holzmann mit den österreichischen Neuerscheinungen bekommen. Jeder sollte sich ein Buch zum Rezensieren aussuchen. Wir hatten dann von Martin Kubaczek eine Einführung zum Thema: Wie schreibt man eine Rezension?", erzählt Mehmet Sözer. Die Jugendlichen bekamen auch eine Liste mit Tipps. Da heißt es etwa: "Sei freundlich, nachsichtig und mild! Sei böse! Sei nicht zynisch (außer einmal)! Vergiss nicht: Eine Rezension ist eine Dienstleistung!"
Menasse, Köhlmeier, Franzobel, Sautner, Faschinger, Geiger und andere wurden seziert und analysiert. "Martin Kubaczek hat unsere Rezensionen gelesen und zu jeder etwas gesagt. Es war interessant, einmal eine andere Meinung zu hören als die des Lehrers," meint Helene Sorgner (ihre Kritik von Erich Hackls "Als ob ein Engel", ist links unten abgedruckt [Anmerkung: nur in der Print Ausgabe der Presse]). Dass die junge Dame literarisches Talent hat, lässt sich übrigens auch auf ihrer Popper–Website erkennen " da sind zwei Gedichte von ihr zu lesen. Andreas Linder geht zwar lieber ins Theater, als zu lesen, Thomas Glavinics‘ "Das bin doch ich" (Rezension unten [Anmerkung: nur in der Print Ausgabe der Presse]) würde er aber trotzdem als Weihnachtsgeschenk empfehlen. Wer noch weitere Anregungen möchte: Unter www.diepresse.com/popper sind alle Rezensionen der Klasse zu finden.