Grundsätzliches Statement
Sir Karl Popper war einer der größten "Begabten", die unser Land in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat und deren Begabung nicht dazu verurteilt blieb, im Verborgenen zu blühen. Wie uns seine Biographie lehrt, war sein Universaltalent offensichtlich angeboren, d.h. es bietet sich nicht vordergründig als Renommierobjekt für das österreichische Schulwesen an. Warum dann ausgerechnet eine "Sir Karl Popper"-Schule?
Kein Schulwesen der Welt kann von sich aus aus dem Nichts kleine "Poppers" produzieren! Eine Schule kann aber sehr wohl an einem derartigen Glücksfall Maß nehmen und danach trachten, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen auch weniger universelle, bloß partielle Begabungen zunächst aufgespürt und sodann in einer Weise optimal gefördert werden, dass sie in ihrem jeweiligen Umfeld deutlich wahrnehmbar und damit für die Gesellschaft nutzbar werden. Unsere Gesellschaft kann sich nämlich auf die Dauer nicht ungestraft den Luxus leisten, in der Jugend vorhandenes Potential brach liegen zu lassen, will sie nicht riskieren, dass Phänomene wie Sir Karl Popper in Zukunft nicht einmal mehr als antizyklische Einzelfälle dann und wann eine immer konturenloser werdende Norm sprengen.
Es ist hoch an der Zeit, dass der in Österreich - dankenswerterweise - stark ausgeprägten kompensatorischen Pädagogik (zur Förderung lernschwacher Schüler durch Behandlung individueller Defizite) als logische Ergänzung am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums nicht minder effiziente Mechanismen zur Erkennung und lerneradäquaten Behandlung individueller Begabungen gegenübergestellt werden!
Dazu bedarf es weder einer teuren, elitären Privatschule noch einer neu zu erfindenden "Wunderpädagogik". Es reicht völlig, bereits vorhandene Erkenntnisse einer fortschrittlichen Pädagogik unbeirrt durch bürokratische Hemmnisse und unbeeinträchtigt durch hinderliche Rahmenbedingungen, wie sie im Normschulwesen leider nur allzu oft anzutreffen sind, konsequent in die Tat umzusetzen. Bewährtes an den bestehenden Lehrplänen ist sinnvollerweise zu übernehmen (und solcherart dem wichtigen Prinzip der "Durchlässigkeit" zum Regelschulwesen Rechnung zu tragen). Insbesondere gilt dies für die in den offiziellen Lehrplänen definierten Lernziele. Allerdings werden diese in der Sir-Karl-Popper-Schule auf neuen Wegen angestrebt: über z.T. neue Inhalte und durch innovative Methoden, vor allem aber unter Aufbrechung starrer Normierungen wie "Fächer"- oder "Stunden"-Grenzen. Bei "Schule", wie wir sie verstehen wollen, kann es niemals im "planwirtschaftlichen" Sinn um die Erfüllung aneinandergereihter "Fünf-Stunden-Pläne" gehen, sondern immer nur darum, dem jeweiligen Lernerindividuum in seiner jeweils individuellen Lernsituation in höchstmöglichem Maße gerecht zu werden.
Einzelne herausragende Lehrerpersönlichkeiten haben, über viele pädagogische Schauplätze verstreut, derartige Idealvorstellungen im Kleinen längst verwirklicht; im pädagogischen Mikrokosmos existiert gewissermaßen eine Unzahl kleiner "Sir-Karl-Popper-Zellen". Die "Sir-Karl-Popper-Schule" in Wien hat sich zum Vorsatz genommen, die Ausnahme zur Regel zu erheben und derartige Glücksfälle zu bündeln.
Erfahrungsgemäß provoziert die Pflege einer begabungsfördernden Lernkultur der oben beschriebenen Art im Rahmen einer separaten, isolierten Institution in manchen Bevölkerungskreisen reflexartig den Vorwurf einer elitären "Prinzenerziehung" bzw. eines "Bildungsghettos". Und in der Tat, auch jenseits aller ideologischen Vorurteile hätte die Vorstellung einer derartigen Zweiklassengesellschaft etwas Abschreckendes an sich. Aus diesem Grunde erscheint es umso sinnvoller, einen derartigen Schulversuch in bestehende Strukturen zu integrieren und dabei auch gleich sämtliche sich anbietenden Synergieeffekte zu nutzen. Daher wird seit Beginn des Schuljahres 1998/99 das Begabungsförderungs-Modell "Sir-Karl-Popper-Schule" als Schulversuch im Rahmen des Wiedner Gymnasiums, einer "normalen" öffentlichen Allgemeinbildenden höheren Schule, realisiert, mit der hoffnungsvollen Perspektive, dass nicht nur an dieser einen Schule in Wien, sondern womöglich dereinst auch bundesweit die Ausnahme zur Norm wird und das "Experiment" in die Regelschule einfließt.
Die Zuversicht, dass wir uns - abgesehen von notwendigen Lernprozessen im Einzelnen - dabei in einer Aufwärtsspirale befinden, beziehen wir aus der Tatsache, dass sich die Sir-Karl-Popper-Schule als einziger Schulversuch Österreichs seit der Stunde Null einer begleitenden externen Evaluation (durch das renommierte BOAS-Institut von Dipl.Ing. Ernst Gehmacher) stellt und dadurch die einzigartige Chance nützt, als lernende Schule immer "besser" zu werden.
Wien, im Dezember 2002
Dr. Günter Schmid, Direktor i. R.